004 - Rachefrühling by Andreas Gruber

004 - Rachefrühling by Andreas Gruber

Autor:Andreas Gruber [Gruber, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller/Krimi
Herausgeber: Goldmann Verlag
veröffentlicht: 2023-09-11T22:00:00+00:00


42

Um halb elf Uhr nachts war Pulaski endlich in seinem Hotelzimmer und konnte sich etwas entspannen. Sein Anzug von Steenweg en Zonen hing im offenen Schrank, die Balkontür war gekippt, und die kühle und feuchte Nachtluft wehte ins Zimmer. Leise drang der Straßenlärm herein.

Kurz zuvor hatte Pulaski – während er an der Bar in der Hotellobby noch etwas getrunken hatte – mit Jasmin telefoniert und ihr versichert, dass er schon jede Menge Wiener Sehenswürdigkeiten gesehen hatte. Nicht, dass sie ihm das wirklich abnahm.

Jetzt lag er mit Jogginghose und aufgeknöpftem Hemd auf dem Bett und versuchte mit der Fernbedienung des TV-Geräts, das über einem kleinen Tischchen an der Wand hing, dessen Media-Player zu aktivieren.

»Das kann doch nicht so schwer sein, verdammter …«, fluchte er, bis er nach einer elendig langen Suche endlich den Menüpunkt Quellen fand. Er aktivierte den USB-Stick, den Flo ihm mitgegeben hatte und der nun seitlich im TV-Gerät steckte. Auf dem Stick befand sich die digital bearbeitete Version von Corinna Wagners Video aus dem Restaurant.

Bei gedimmtem Licht sah er sich den Film mehrmals hintereinander an. Zuletzt betrachtete er das Video schließlich noch einmal ohne Ton – das ständige Gelächter der drei Frauen nervte, außerdem kannte er schon jeden einzelnen ihrer Sätze auswendig – und konzentrierte sich stattdessen auf Professor Niemeyer im Hintergrund. Er studierte jede Bewegung und jede Geste, bis er das Gefühl hatte, auch diese auswendig zu kennen. Irgendetwas stimmte nicht.

Warum hatte Niemeyer sich im Lokal nicht umgesehen, bevor er das Messer klaute?

Weil er sonst Gefahr gelaufen wäre, von vorn gesehen zu werden.

Aber wie konnte er sichergehen, beim Diebstahl nicht ertappt zu werden?

Die Lautstärke der drei Damen und die Ablenkung durch die Feier waren ihm offenbar Schutz genug.

Und wenn es an jenem Abend nun keine Geburtstagsfeier gegeben hätte?

Dann hätte er es vielleicht trotzdem riskiert oder seinen Plan ganz anders durchgeführt.

Egal, wie man es drehte oder wendete – es war ein reines Glücksspiel, was Niemeyer da abgezogen hatte.

Pulaski drückte auf die Pause-Taste, studierte das Bild, ließ das Video weiterlaufen und hielt es an jener Stelle erneut an, an der sich Niemeyer hinter dem Ohr kratzte.

Was stört mich nur daran, verdammt?

Doch er kam einfach nicht drauf. Schließlich schaltete er das Fernsehgerät aus und warf die Fernbedienung aufs Bett.

Lass es gut sein! Der Fall ist abgeschlossen, und Ostrovsky und Kommissarin Dreyer werden den Schachgroßmeister so lange weichkochen, bis er ein Geständnis ablegt.

Er blickte zum Nachttisch, wo Lems Sterntagebücher lagen. Er schnappte sich das Buch, blätterte es auf und betrachtete das Lesezeichen, das Corinna Wagner ihm ins Buch gesteckt hatte. Es ist ein wahres Glück, dass ich krank geworden bin, denn das Buch wird jetzt viel schöner, lautete das Zitat von Adalbert Stifter unter dem Logo der Lesefuchs-Buchhandlung.

Was soll das denn heißen? Bedeutete das, dass Stifter gern krank war, weil er dadurch bequem im Bett liegen und ein Buch lesen konnte? Merkwürdiger Spruch. Er las die ersten Zeilen des Buches, klappte es aber schnell wieder zu. Wollte er überhaupt in Jugenderinnerungen versinken? Irgendwie hatte er jetzt keinen Bock darauf. Außerdem brannten seine Augen, weil er zuvor zu lange konzentriert auf das Video gestarrt hatte.



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